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Bericht 29.10.2003

        WAS ICH NEBEN DEM SKIFAHREN NOCH TUE — STUDIUM IN FRANKREICH      28.12.2004

Nun habe ich mir mal wieder ganz schön lange Zeit gelassen, Euch mit Neuigkeiten aus Lyon zu versorgen. Aber es hat sich eigentlich auch nicht enorm viel ereignet. Eine Gala, ein bißchen Skifahren und jeden Donnerstag Bouffe d'Etage seitdem ich aus Dublin zurück bin, aber über all diese Freizeitaktivitäten habe ich ja schon im vergangenen Jahr ausreichend berichtet. So will ich heute mal ein bißchen von dem erzählen, was ja eigentlich der Hauptgrund meines Auslandsaufenthaltes ist, dem Studium in Frankreich.

Damit Ihr aber im Folgenden versteht, warum manches so ist, wie es ist, will ich Euch zunächst in ganz groben Zügen das französische Hochschulsystem erklären. In Frankreich wird recht früh entschieden, in welche Richtung es einmal gehen soll, denn bereits das Abitur legt eine grobe Richtung vor. Hat man erst recht erfolgreich das sogenannte "Baccalaureat Scientifque" bestanden, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder geht man auf eine Universität oder man entscheidet sich für einen Cursus an einer Grande Ecole. Dort kommt man aber nicht so ohne weiteres hin. Um auf eine Grande Ecole zu kommen, muß man den dazugehörigen Concours bestehen und um auf den vorbereitet zu sein, macht man erstmal zwei Jahre nach dem Abi die sogenannten "Classes préparatoires". Das darf man sich ungefähr wie Bund, nur auf intellektuell, vorstellen. Drill mit Differentialgleichungen. Die kleinen Franzosen haben in diesen zwei Jahren zu gar nichts anderem Zeit als zu lernen. Täglich morgens und nachmittags Unterricht, um sich dann abends auf die Tests vorzubereiten, von denen es wöchentlich gleich ein paar gibt. Auf dem Programm stehen in erster Linie Mathe und Physik, die restlichen Ingenieursfächer sind Füllwerk. Wer nicht zu Hause wohnen bleiben kann, kommt in ein Wohnheim, das eher aber einem Internat gleicht und man auch morgens, mittags und abends was zu essen bekommt. Wenn sie dann diese zwei Jahre "Grundausbildung" geschafft haben, kommt die Zeit der Concours. Da verschiedene Grandes Ecoles verschiedene Concours haben, tritt man natürlich bei mehreren an, um seine Chancen zu erhöhen, bei einem gut genug zu sein, um den Sprung zu schaffen. Wenn nun das Ergebnis des Concours ausreichend gut ist, wird man von der Grande Ecole zugelassen. Je besser das Réputé einer Schule ist, desto schwerer ist es folglich, dort aufgenommen zu werden. Und nun haben sie es geschafft, denn von nun an kann sie kaum mehr etwas stoppen. In Frankreich zählen Noten im Diplom kein bißchen, sie stehen nicht einmal irgendwo notiert. Deswegen genügt es, auf einer Grande Ecole aufgenommen zu sein und dort mit Minimalaufwand zu überleben, denn solange man zum Schluß nach den drei Jahren Grande Ecole sein Diplom in der Hand hält, hat man das Ziel erfüllt und ein guter Job mit einem Diplom einer renommierten Schule ein Klacks. Und vergessen wir nicht, daß die Franzosen nach ihren Classe Préparatoires mit ausreichend Handwerkszeug ausgestattet sind, um davon ein wenig zu zehren.

Ich selber habe natürlich von Classes Préparatoires und so weiter nichts mitbekommen - und darüber bin ich mehr als froh, denn diese zwei Jahre sind alles andere als ein Zuckerschlecken. Aufgrund eines Abkommens zwischen der TU Darmstadt und der Ecole Centrale bin ich in das erste Jahr als "Admis sur Titres" zugelassen. Man kann also unser Grundstudium den Classes Préparatoires als Äquivalenz entgegensetzen, auch wenn sich diese sich inhaltlich kaum ähneln. Der Beginn an der Grande Ecole im ersten Jahr ist wie bei uns fünftes Semester, sprich Beginn Hauptstudium.

Natürlich geht der Unterricht an der Centrale in ähnlichem Stile weiter, wie es Franzosen gewöhnt sind, getreu dem Motto: Es lebe die Mathematik! Das stellt dementsprechend für die Ausländer im Regelfall gehörige Probleme dar, denn kein anderes Land der Welt scheint so mathematikverliebt wie Frankreich. Die Denkungsweise geht immer vom allgemeinen Problem (und einer Mega-Gleichung) aus und leitet dann daraus alle Spezialfälle ab. Da ist es egal, ob ein krummliniges Koordinatensystem eher eine Ausnahmeerscheinung ist, Hauptsache die Gleichung ist IMMER anwendbar. Die Tatsache, daß im deuxième année, dem vorletzten Studienjahr, noch reine Mathematikvorlesungen auf dem Programm stehen und diese doppelt soviel zählen wie die Informatikveranstaltugen, verwundert da nicht mehr. Die legitime Frage, was man mit all dem Mathe und ohne ausreichende Informatikkenntnisse als Ingenieur machen will, stellt man besser nicht, schließlich ist die Mathematik heilig.

So ist es nicht weiter verwunderlich, daß die Ausländer - vor allem zu Beginn - ganz schön ackern müssen, um sich an diese Herangehensweise zu gewöhnen. Hinzu kommt noch die Tatsache, daß man den Eindruck gewinnt, daß die Franzosen rein gar nichts arbeiten. Und in gewisser Weise ist dieser Eindruck auch nicht falsch. Wenn sie an der Centrale ankommen, müssen sie nämlich erstmal das nachholen, was sie in zwei Jahren verpaßt haben und das äußert sich durch extreme Party- und Alkoholexzesse. Sie haben natürlich auch dementsprechend wenig Lust, sich vor den Schreibtisch zu setzen, aber im allgemeinen schaffen sie es dennoch, ihre Klausuren mit einem Mindestmaß an Arbeit (ein Abend Vorbereitung) zu schaffen, schließlich zehren sie von den Classes Préparatoires. Natürlich gilt das nicht für alle, aber wer mehr tut, als das Nötigste gilt als Pougne (Centrale-Wort [Achtung! nicht allgemein französisch] für Streber) und je lauter man ist, desto mehr Ansehen genießt man in der Gemeinschaft der Centraliens.

Doch wie werden diese unreifen Kinder, die im ersten Jahr an der Ecole Centrale ankommen, nun erwachsene Ingenieure? Nun, während der drei Jahre Centrale machen die meisten eine rasante Entwicklung durch, der Reifeunterschied zwischen den Jahrgängen ist enorm. Während des Studiums muß keiner "wahre" Verantwortung für sein Studium übernehmen, jeder folgt dem Kursus und ist am Ende Ingenieur, wenn er sich nicht ganz dumm anstellt und durchfällt. Für Skills wie Verantwortungsbewußtsein oder die Fähigkeit, etwas zu organisieren gibt es die Association des Elèves, in die manch einer mehr Arbeit als in sein Studium steckt. Selbständiges wissenschaftliches Arbeiten allerdings wird kaum gefordert, man wird zum Ingenieur ausgebildet, was aber positiverweise durch zahlreiche Praktika mehr Praxisnähe bringt.

Die Kurse an Centrale laufen zum Großteil nach dem gleichen Schema ab. Eine Einheit Vorlesung (zu der keiner geht) und eine Einheit Übung sollen den Stoff vermitteln. Dabei sind die Vorlesungsfolien eine mittlere Katastrophe und die Skripte (falls es welche gibt) zum Davonlaufen. Lehrbücher werden generell nicht verwendet. Das macht natürlich eine Klausurvorbereitung nicht unbedingt leichter, denn man ist auf seine, häufig unvollständigen, Notizen angewiesen. Dem Verständnis ist das nicht zugetan und die Vorlesungsfolien sind sowieso nur mit Formeln gefüllt, deren Sinn sich nicht erschließt. Variablen werden ohne Erklärung eingeführt, Vereinfachungen fallen vom Himmel. Das Lernen ist jedes Mal aufs Neue eine wahre Pracht. Man versucht, ein Minimum zu begreifen, um anschließend in der Klausur die nötigen 10 von 20 Punkten zum Bestehen zu erreichen. Man hat daher nicht wirklich den Eindruck, effizient zu arbeiten oder wirklich was zu lernen, denn nach ein paar Wochen ist sowieso alles wieder vergessen.

Auch die Profs bieten genügend Gelegenheiten, sich über ihren Lehrstil zu entäußern. Skripte mit Leerpassagen, die man während der Vorlesung ausfüllen muß, sind derzeit der neuste Schrei unter den Profs, um wieder mehr Leute in die Vorlesung zu zwingen. Aber gut, Geschichten über eigensinnige Profs gibt's in allen Ländern gleichermaßen.

Ihr sollt aber nicht den Eindruck erhalten, es gäbe keine positiven Aspekte. Die französischen Studenten werden um einiges besser auf ihre Arbeit in der Industrie vorbereitet, als ihre deutschen Kollegen beispielsweise. So beginnt man am Anfang des ersten Jahres ein 15-monatiges Projekt, bei dem die wissenschaftliche Arbeit ebensoviel zählt, wie Aspekte des Projekt-Managements. Drei Berichte, zwei große Präsentationen, 5 kleine Rendez-vous de pilotage sind ein gutes Training für den Projektalltag in der Industrie. Unterstützt wird dies durch Schulungen, deren Theorien während des Projektes umgesetzt werden sollen. Im zweiten Jahr löst ein Projekt in Zusammenarbeit mit einem Industriellen das Erstjahresprojekt ab. Ziel ist es, die Kommunikation mit einem Industriepartner zu üben und gleichzeitig diesem ein Ergebnis für eine Studie zu liefern. So bin ich mir sicher, daß die Centraliens nach ihrem Studium, zehnmal besser im Managen von Projekten sind, als ein deutscher Dipl.-Ing., der während seines Studiums außer Lehrbüchern nicht viel gesehen hat.

Ich wage nicht, zu urteilen, welches System besser ist oder gar effizienter. Ich schätze sehr die eigenständige Arbeit in Deutschland und bin überzeugt, daß diese Art von Studium der persönlichen Entwicklung und dem effizienten Arbeiten um einiges zuträglicher als das französische System ist. Allerdings ist es ebenso richtig, daß wir ein großes Manko im Beriech der Mathematik haben, welches aber schon weiter vor der Universität ansetzt. Wer hat denn schon im Abitur, auch im LK, Differentialgleichungen behandelt? Ich halte die Classes Préparatoires zwar für überzogen, aber immerhin vergessen die Franzosen das, was sie dort gelernt haben, nicht so schnell. Das sitzt wirklich. Ich habe in der letzten Zeit etliche Diskussionen mit anderen Ausländern und mit Franzosen geführt, doch meist verharrt jeder auf den Vorteilen seines eigenen Systems. Was im Endeffekt zählt ist ein Abschluß und die Fähigkeit, als Ingenieur arbeiten zu können. Welches System besser geeignet ist, wird sich mit Sicherheit in den nächsten Jahren im Rahmen der Internationalisierung der Studiensysteme zeigen. Dann wird diese Diskussion sehr wahrscheinlich überflüssig.

Schließlich bleibt noch eine große Ungerechtigkeit des französischen Systems. Es ist zwar unglaublich, wieviele Beziehungen und Connections die Absolventen von Grandes Ecoles am Ende ihres Studiums aufgebaut haben. Außerdem können sie fast sicher sein, daß ihre Studienkollegen eines Tages auch weit oben in den Unternehmen sitzen, was das Beziehungsnetz konstant groß hält. Wer aber nicht in einer Grande Ecole war und statt dessen an einer "simplen" Universität studieren mußte, der hat hat so ziemlich verloren. Wie ein Centralien sein Leben lang Centralien ist, bleibt jemand von der Universität sein Leben lang ein Niemand. Das ist ein wenig überspitzt gesagt, aber man kann noch so genial sein, kommt man nicht von einer Grande Ecole, wird das Leben ungleich schwerer.

Das war nun ein kurzer Überblick über das, womit ich mich tagtäglich in Lyon beschäftige. Vielleicht hilft es auch dem ein oder anderen, das Studium in Frankreich im Hinblick auf einen Auslandsaufenthalt einzuschätzen. Das nächste Mal erzähle ich Euch dann auch wieder über lustigere Sachen, versprochen. Aber das mußte auch mal sein, sonst glaubt Ihr alle noch, ich würde nur Skifahren gehen. ;-)


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