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Bericht 15.10.2003
STUDIUM UND SO SACHEN
15.10.2003
Nun gibt es nach längerer Zeit mal wieder
einen Bericht. Aber die letzten Tage standen bei mir absolut im Zeichen
Darmstadts. Nein, nicht daß ich da gewesen wäre oder ähnliches. Es war vielmehr
die letzte noch ausstehende Klausur dieses Semesters, die mich zwang, meinen
diversen Nebentätigkeiten etwas zu entsagen und mich als einziger Trottel dieses
Campus über Skripte zu hängen. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie ungemein
erbaulich das ist, wenn man so in seinem Zimmer hockt, sich nur dummes Zeug in
den Kopf ballert und draußen frech die Sonne lacht. Die Franzosen gammeln alle
am Sportplatz oder machen sonstige lustige Sachen. Die Deutschen aus dem dritten
Jahr verbringen jedes Wochenende woanders. Die machen sowas wie Urlaub hier.
Gut, ich übertreibe, aber verglichen mit unserem ersten Jahr ist das wirklich
easy-going. Und ich quäle mich mit Energietechnik, während ein Telegramm nach
dem anderen über ICQ flattert. "Heute abend schon was vor?", "Was machst Du am
WE?", "Willst Du nicht kurz ein vorbeikommen?" Klar, wollte ich! Verdammt, aber
endlich ist diese Sch... zu Ende!
Naja, und eigentlich hätte ich hier ja
auch schon genug so zu tun, auch ohne Energietechnik der TU Darmstadt. Aber zum
Glück ist das heute abgeschlossen, ob es nur für sechs Monate oder für immer
abgeschlossen ist, wird sich in einigen Wochen zeigen. Ich hoffe, ich bin
irgendwie durch, mein Gefühl ist etwas im Zweifel...
Heute will ich Euch aber mal ein bißchen
was über das Studium hier so erzählen. Denn das ist wirklich gänzlich anders als
in Deutschland und eines weiß ich schon, so nervig manche Vorlesung in DA auch
war, eines war immer perfekt. Wenn man keinen Bock hatte, ging man eben nicht
hin und basta. Tja, damit ist's hier aus. Es gibt zwar auch einige Vorlesungen,
zu denen man auch nicht hin muß, aber das meiste sind TD und da gilt
Anwesenheitspflicht, ebenso wie für die TP.
Was mich regelrecht zu Raserei treibt, ist
Mathe. Was wir da machen, ist einfach nur verrückt. Nein, es genügt nicht, daß
man zeigt, daß ein Integral Riemann-integrierbar ist, die Franzosen führen noch
das Integral nach Lesbegue ein, das noch häufiger konvergiert, als das von
Riemann, bei dem ich mich aber außer Stande sehe, es zu lösen, und bei dem ich
auch keinerlei Sinn erkenne! Und solche Späße treiben sie mit allem. Habt Ihr
schon mal was von Reihen gehört, die ein Erzeugendensystem bilden??? Nein, ich
auch nicht!
Letztens habe ich meinen Mathe-Prof auch
gleich mal aus den Latschen gehauen. Da schreibt der irgend so ein dämliches
Integral an. Naja, eingentlich nichts aufregendes, lösbar mit partieller
Integration, aber wer braucht das schon? Mit flackernden Augen fragte er dann in
die Runde, wie man es lösen könne, es gäbe schließlich drei Varianten. Meine
unverzügliche Antwort war dann, daß ich einfach im Buch nachschlage. Ihr glaubt
gar nicht, wie der mich angeschaut hat! "On le fait comme ça en Allemgne?" - "Oui,
comme ça!" Tja, da war er baff. Na gut, meinte er dann, dann sind es eben
vier...
Aber dieser Mathe-Prof ist eigentlich noch
ganz cool, wenn man ihn mit dem vergleicht, der unsere TD und Algèbre macht. Der
ist der Abschuß. Er heißt Loiseau, was der Vogel heißt, und hier gilt ganz klar:
"Nomen est omen." Denn er hat einen solchen... Der dreht total am Rad. Letzte
Stunde war ich kurz vorm Durchdrehen. Eine Übung, das habt Ihr noch nicht
gesehen. Es ging um Folgen und so, aber mit Dingen, die kein Mensch braucht. Ich
kann das gar nicht beschreiben. Das muß man sehen. Die geilste Aktion war immer
noch, als er vor einigen Tagen zwei Brasilianerinnen auseinander gesetzt hat,
weil sie was an der Tafel nicht lesen konnten - und er hat wirklich eine
abartige Schrift - und daher miteinander leise redeten. Das muß man sich mal
vorstellen, da wird man an der Uni, ach stimmt, ist ja eine Schule für Große,
auseinander gesetzt.
Aber man wird von vorne bis hinten mit
Arbeit zugeschüttet. Da dachte ich, vor eineinhalb Wochen, jetzt würde es etwas
ruhiger, weil Sprachen und Sport begannen, aber weit gefehlt, da holten sie
nochmal tief Luft und schon waren wieder hundert neue Sachen da. Erstmal haben
letzte Woche die TP, also die Praktika, begonnen und an sich denkt da ein
normaler Mensch an praktische Tätigkeit im Labor oder sonstwo, die man ausführt,
nach Hause geht und fertig. Nein, weit gefehlt! Ich hatte zunächst Info. Gut,
soweit nicht allzu anstrengend, nach dem "tollen" Softwarepraktikum vom letzten
Semester schockt mich eh nichts mehr, auch wenn wir hier in C/C++ schreiben. Da
steht dann ein Word-Dokument mit den Arbeitsanweisungen im Netz und das hübsche
"fichier" hat dann locker 27 Seiten mit 10 Aufgaben, jede Aufgabe ein Programm.
Glücklicherweise muß man nur 4 Aufgaben abgeben und so habe ich mich mit meinem
brasilianischen Partner sofort ans Werk der 4 relevanten Aufgaben gemacht, man
will ja schließlich effizient sein und zuviel Zeit hat keiner! Dennoch wurden
wir in den vier Stunden nicht fertig. Das heißt im Klartext, in der kargen
Freizeit fertig programmieren, kommentieren, dokumentieren und abgeben. Ja, und
solche TP sind einmal pro Woche.
Dann wurde uns das UE Pro vorgestellt. Das
heißt Unité d'Enseignement Professionelle und soll uns ein persönlich
Lebensprojekt vermitteln. Also, was bin ich und was soll ich hier? Zu diesem
Zweck gibt es jeden Mittwoch nachmittag Konferenzen, von denen man bis Januar
fünf besucht und mit einem Protokoll dokumentiert haben muß. Dann muß man bis
Februar zwei wildfremde Ingenieure getroffen haben, die man sich auch noch
selber suchen soll. Hurra, kein Thema, ich fühle mich hier auch so sicher in
Wort und Schrift, daß ich gleich mal irgendeinen Ehemaligen der Schule anrufe,
und frage: "Hey, Laurent, altes Haus, Du heißt ja so, wie fast jeder andere
Franzosen, aber nachdem Du ja schon Deinen Abschluß hast, und auch auf der EC
warst, hättest Du nicht Bock, daß wir uns mal treffen und 1 1/2 Stunden so über
Deine Karriere plaudern?" Gut, es gibt wohl irgendwo ein Register, aus dem wir
uns Kontakte suchen können, aber trotzdem mangelt es mir noch etwas an der
Vorstellung, wie das ablaufen soll. Dann gibt es noch zwei abendliche Rencontre,
bei denen wir unser Lebensprojekt vorstellen sollen und dabei erklären müssen,
was wir aus den Gesprächen mit den Ingenieuren gelernt haben. Oh Mann, was soll
ich denn da für ein Lebensprojekt angeben? Mein großes Projekt der letzten zwei
Jahre ist erstmal gelaufen und Realität geworden, ich bin HIER!
Und neben all diesen lustigen Dingen,
Vorlesungen, TD, TP und UE Pro haben wir noch das PE, das sogenannte Projet
d'Etudes. Das ist an sich eine echt spannende Sache. Man ist in einem Fünferteam
und hat ein bestimmtes Projekt innerhalb des Jahres zu realisieren. Mein Projekt
gliedert sich in zwei Gruppen, denn wir haben einen einigermaßen komplexen
Apparat uns vorgenommen, mit dessen Hilfe die Früherkennung von Krebs möglich
sein soll. Die Technologie nennt sich Lab-on-a-Chip (franz. Aussprache:
Labonatschi) und bietet noch extrem viel Potential, das bislang nicht
ausgeschöpft wurde. Wir werden daher mit einem Institut in Grenoble kooperieren,
die auf gewisse Oberflächenbearbeitungsverfahren spezialisiert sind, denn wir
benötigen ja ziemlich hochtechnologische Bauelemente. Unser Apparat gliedert
sich in zwei Hälften. Das eine ist eine opto-elektronische Komponente, die
einzelne Moleküle analysieren soll. An diesem Teil werde ich mitarbeiten. Die
andere Hälfte verarbeitet die Informationen und liefert sie an einen Rechner.
Ich bin echt gespannt, wie das wird. Auf jeden Fall nochmals mehr Arbeit, dafür
aber sicherlich interessante.
Naja, Ihr seht, die Franzosen knallen uns
gut zu mit Arbeit. Aber leider gilt das alles nur für die Deppen, die sich in
den Kopf gesetzt haben, hier ein Doppeldiplom zu machen. Alle, die nur ein
Erasmus-Jahr hier verbringen, fahren mal locker ein Wochenende ans Meer oder
verbringen ein solches in Kletterhallen in Lyon. Das Freizeitangebot wäre hier
auch unerschöpflich. Es gibt keine Sekunde, in der nicht irgendwas geht.
Mittwoch, nächster Woche, also am 22. November, schreibe ich dann hier die erste
Klausur. Da bin ich sehr gespannt. Nennt sich Techno - Technologie Mécanique -
und ist sowas wie Maschinenelemente. Nur gut, daß ich das Vokabular nicht mal im
Deutschen beherrsche.
Zwischen 26.10. und 2.11. bin ich in
Deutschland, vacances de toussaints, also im Prinzip Herbstferien. Alle, die
sich noch im Großraum Frankfurt aufhalten, können sich ja mal melden.
Das war's dann mal auch wieder. Es gibt
sicher einen Bericht in den Ferien, bis dahin wohl eher weniger. Sonntag ist
Brunch Allemand und da haben wir Deutschen genug zu tun. Das werde ich
logischerweise in Bildern dokumentieren. Deutsche Weißwürste sind heute direkt
importiert worden, dank sei den Informatikern, die ihre Klausuren nicht hier
schreiben dürfen!!! Und wie gesagt, Mittwoch dann das erste französische Examen.
A+!
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